Führen auf Sicht ist im Moment angesagt. Keiner weiß genau, wie sich die Wirtschaft, unsere Gesundheit, unser Arbeitsplatz in Zukunft entwickeln wird.
Natürlich verunsichert uns das – aber ich sehe auch viele Chancen für positive Veränderungen, wenn es gelingt, einige Denkgewohnheiten kritisch zu hinterfragen, um komplexe Probleme anders als bisher zu lösen.
Und wieder einmal geht es um gute Führung – weil ein sicherer Rahmen, eine hilfreiche Orientierung gerade in Krisenzeiten wichtig ist, um das Kreative, das Innovative in uns in Gang zu setzen.
Wir haben in letzter Zeit oft über agile (Führungs-) Ansätze nachgedacht und so manches Unternehmen hat viel investiert, um agile Methoden im Unternehmensalltag einzusetzen und als modernes Mindset authentisch zu leben.
Genau da sollten wir jetzt ansetzen und weiterdenken. Wenn Agilität hilft, Arbeitsprozesse schnell und flexibel anzupassen, um im Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben, dann gibt es eine wichtige Komponente, die nun – auf dem Hintergrund einer massiven Gesundheitskrise mit einschneidenden Folgen – konsequent mitgedacht werden sollte: die Gesundheit. Und zwar die Gesundheit von Menschen, die sich infizieren könnten (ganz egal ob mit oder ohne Vorerkrankung), die psychische Gesundheit von Menschen, die unter permanenter Quarantäne leiden und einsam werden, die Gesundheit von Mitarbeitenden und Führungskräften in Betrieben, die sich auf völlig neue, unsichere Arbeitssituationen einstellen müssen und die Gesundheit unserer Erde, die schon seit langem kurz vor dem Kollaps steht.
Wenn ich mich auf die Gesundheit der Führungskräfte konzentriere, ist spürbar geworden, dass viele Führungskräfte jetzt wissen möchten, wie gesundheitsförderliches Krisenmanagement aussieht, wie sie psycho-soziale Belastungen von Mitarbeiter*innen rechtzeitig erkennen können und welche betrieblichen Maßnahmen sie als Führungskraft ergreifen können, um gesundheits-wirksam zu handeln. Auch den eigenen Belastungsgrad im Blick zu behalten, steht jetzt im Vordergrund. Denn wenn man selbst am Limit ist, ist die Energie nicht da, Probleme zu lösen, schon gar nicht existenzrelevante Probleme für die Zukunft von Mitarbeitenden und Betrieben.
Das Konzept der Resilienz zeigt schon seit Jahrzehnen, wie die eigene mentale Widerstandkraft in Krisenzeiten gezielt aufgebaut werden kann. Hier sehe ich eine Chance, im Rahmen eines Ansatzes von „Neuer Führung“ wichtige Kompetenzen zu erwerben, die eine gute Balance zwischen dem Erhalt von Leistungsfähigkeit und von Gesundheit aufrecht erhalten.
Welche Kompetenzen sind das? Die bislang bekannten Führungskräfte-Schulungen vermitteln wichtige Kompetenzen für strategische Prozesse, für die Steuerung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsaufgaben von Mitarbeitenden, in den meisten Schulungen lernt man auch noch, wie Mitarbeitende motiviert werden können und manchmal auch, wie Konflikte gelöst werden können. Oft geht es darum, Gespräche so geschickt führen zu können, dass man eigene Interessen möglichst durchsetzt und im Rahmen der eigenen Karriere möglichst schnell weiter kommt.
Was oft zu kurz kommt, ist die Vermittlung von Führungskompetenzen, die ich Meta-Kompetenzen nenne. Meta-Kompetenzen sind im Unterschied zu Handlungskompetenzen Fähigkeiten, die nicht das konkrete Ausführen betreffen, sondern sich auf das „Wie“ des Handelns konzentrieren. Sie beinhalten persönliche Kompetenzen, die Fähigkeit zu abstrahieren und sich selbst und Prozesse zu beobachten. Diese Beobachtungsfähigkeit schließt z.B. einen Perspektivwechsel ein.
Metakompetenzen:
- Selbstreflexion rund um die eigene Führungsrolle und auch das eigene Führungsverhalten, u.a.
- Aktivierung eigener mentaler Stärken, die die eigene Selbstwirksamkeit erhöhen.
- Förderung der eigenen Resilienzfaktoren als Vorbereitung für den Umgang mit Krisen, Veränderungen und Phasen der Unsicherheit.
- Problem- und Konfliktlösungsansätze, die auf ein Win-Win-abzielen (s.a. Perspektivwechsel) anstelle einer individuellen Profilierungsstrategie, die nur die eigenen Interessen vertritt.
- Kommunikationskompetenzen, die das kollegiale Netzwerken und den kollegialen Austausch fördern.
Wozu dienen diese Meta-Kompetenzen?
In den letzten Wochen wurde in der Öffentlichkeit viel darüber diskutiert, was jetzt wichtiger ist: den Lock-Down aufrecht zu erhalten, um die Gesundheit von Menschen zu gewährleisten oder den Lock-Down aufzuheben, um die Sicherheit und Überlebensfähigkeit von Unternehmen und Organisationen zu gewährleisten.
Die Zwickmühle, die bei dieser Fragestellung entsteht, ist gefährlich, es kann nicht darum gehen, sich zwischen der Gesundheit von Menschen und dem Überleben, bzw. der Gesundheit von Unternehmen zu entscheiden. Die Frage ist falsch gestellt, wenn sie uns in ein Entweder-Oder, in ein Dilemma führt.
Die Frage muss stattdessen lauten: was können wir tun, um beides in einer sinnvollen, praktisch umsetzbaren Balance herzustellen? Nur diejenigen, die gelernt haben, Meta-Kompetenzen in komplexen Problemsituationen einzusetzen, finden Auswege und Lösungen für Dilemmata. Die Chance, eine neue Führungshaltung gerade jetzt zu finden, eine Führungshaltung die uns aus den Zwickmühlenfragestellungen herausführt und uns unterstützt aus Gesundheit und (Arbeits-) Leistung keinen Widerspruch, sondern eine sinnvolle Synthese zu finden, sollte von Unternehmen und Organisationen ergriffen werden.
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