Teil 4 – Wenn es Ihnen schwer fällt, auch mal Nein zu sagen

Leider gibt es heutzutage immer mehr Menschen, denen er schwer fällt nein zu sagen. Das war früher ganz anders. Nur selten wollte jemand freiwillig Überstunden zu machen.  Oder dem Kollegen ein Aufgabengebiet abnehmen, weil er überlastet war. Und nur ganz wenige wollten gar eine Zusatzaufgabe übernehmen, für die Sie außer einem guten Ruf keinen Cent bekamen.

Heutzutage gibt es viele, die sich für ihren Job sehr engagieren, die Rücksicht darauf nehmen, wenn in der Firma umstrukturiert wird und sie plötzlich doppelt so viel zu tun haben, die ja sagen, weil sie nicht unkollegial wirken möchten. Sie möchten zeigen, wie engagiert und hilfsbereit sie sind. Aber in Wirklichkeit leiden sie. Sie fühlen sich überlastet und chronisch ausgenutzt, trauen sich jedoch nicht, etwas dagegen zu sagen.

Irgendetwas ist aus den Fugen geraten. Hilfsbereit und engagiert zu sein, ist ja schön und gut. Aber muss man sich deswegen gleich selbst ausbeuten? Ich finde nicht – daher geht es in diesem Kapitel darum, wie Sie nein sagen können ohne rücksichtslos zu wirken.

Lukas Salzmann leidet auch. Der 31-jährige IT-Consultant sitzt gerade mit seinem Teamleiter Klaus Timmann im Gespräch. Lukas soll für ein halbes Jahr ein Projekt in den USA leiten.

„ Es stimmt“, beantwortet Lukas das Angebot seines Chefs, „eigentlich will ich in Zukunft mehr Projekte leiten. Aber ein halbes Jahr USA…ich will doch gar nicht mehr so viel unterwegs sein.“ „ Das ist die Chance, auf die du immer gewartet hast“, unterbricht ihn Klaus Timmann, „ du kannst endlich international arbeiten, du arbeitest mit Kunden, die für uns richtig wichtig sind. Du wärst doch blöd, wenn du so ein Angebot ablehnen würdest.“ Bei den letzten Worten hat Klaus sich mit seinem Oberkörper weit nach vorne gebeugt. Nun sitzen sich beide Auge in Auge gegenüber. Lukas senkt den Kopf und schweigt. Während er nervös seine Hände knetet, startet er einen letzten Abwehrversuch, „ versteh doch, ich bin im letzten Jahr viel zu viel unterwegs gewesen. Meine Freundin ist jetzt schon total genervt, weil ich nie da bin. Und dann ein halbes Jahr USA…das würde sie niemals mitmachen.“ Klaus beugt sich noch weiter vor und senkt fast beschwörend die Stimme. „ Mensch Lukas, das ist deine Chance, die kannst du doch jetzt nicht sausen lassen, weil deine Freundin dich vermisst.“ Irgendwie kommt Lukas sich jetzt albern vor. Aber er kann es nicht ändern, er will das Angebot doch gar nicht annehmen. Warum nur akzeptiert Klaus sein „Nein“ nicht?

Ja-Sager nehmen Rücksicht

Wahrscheinlich merkt Lukas gar nicht, wie vorsichtig er nein sagt. Haben Sie gemerkt, wie unsicher er wirkt? Und anstatt die Bedürfnisse seiner Freundin vorzuschieben, sollte er lieber selber sagen, warum er nicht in die USA möchte. Ich vermute, er möchte mit seiner Vorsicht signalisieren, dass er grundsätzlich bereit ist, auf die Vorschläge seines Chefs einzugehen. Dass das auch anders geht, werden Sie später sehen, wenn ich Ihnen meine Nein-Sage-Methode vorstelle.

Menschen wie Klaus nutzen die Vorsicht der  Ja-Sager aus. Damit sie ihre Interessen durchboxen können, bleiben sie einfach nur hartnäckig. Bis der andere nachgibt – meistens aus Angst, ein konsequentes Nein könnte schlimme Folgen haben. Wenn jemand wie Lukas merken würde, wie berechenbar er mit dieser Schwäche wirkt, könnte er sehen, dass er so gar nicht ernst genommen wird. Denn jemand, der immer nur ja sagt, wirkt auf andere sonderbar. Im Prinzip weiß doch jeder von uns, das das nicht stimmen kann. In unserem tiefsten Innern fühlen wir doch, wie egoistisch wir neben aller Rücksichtnahme auch sind.

Dieses Gefühl ist Lukas momentan abhanden gekommen. Aber bevor ich Ihnen zeige, wie er es ausdrücken kann ohne rücksichtslos zu wirken, möchte ich noch erklären, woher die Angst, nein zu sagen, eigentlich kommt.

Früh übt sich, wer es allen recht machen möchte

Jeder Mensch wächst mit bestimmten sozialen Grundbedürfnissen auf. Die erste Antriebsfeder heißt „sich an andere anpassen“ und die zweite heißt „ an sich denken“. Während das Anpassungsbedürfnis dafür sorgt, dass wir als Babys enge Bindungen zu unseren wichtigsten Bezugspersonen aufbauen, sorgt das egoistische Prinzip dafür, dass wir später wichtige Talente und Bedürfnisse ausleben, auch wenn andere dagegen sind. In jeder Gesellschaft hat es immer Regeln und Normen gegeben, die uns gezeigt haben, was wir tun müssen, um den sozialen Anpassungsbedürfnissen gerecht zu werden. Doch gleichzeitig hat es immer Menschen gegeben, die sich gegen diese Regeln gewehrt haben und nur deswegen Großes geleistet haben. Christopher Columbus hat einen neuen Erdteil entdeckt, weil er sich nicht an die Regel gehalten hat, dass die Erde eine Scheibe ist. Nelson Mandela hat für die Rechte der Schwarzen gekämpft, indem er sich nicht an die Regeln der Apartheid gehalten hat. Für das eigene Recht zu kämpfen ist also wichtig. Es gibt aber auch Momente, da muss man sich anpassen. Wenn kleine Kinder die Verkehrsregel brechen, bei Rot stehen zu bleiben, werden sie überfahren. Wer einen neuen Job anfängt und sich nicht an die Verhaltensvorschriften im Unternehmen hält, fliegt schnell wieder raus.

Beides ist wichtig, sich anpassen und sich durchsetzen. Aber jeder muss selbst entscheiden, in welcher Balance er beides gestaltet. Wenn die Balance in Schieflage gerät, tauchen meist Probleme auf. Wer sich nur durchsetzt, ist irgendwann allein. Wer sich nur anpasst, ist nicht mehr er selbst.

Menschen, die sich nur anpassen und sich kaum durchsetzen, haben recht früh schlechte Erfahrungen beim sich durchsetzen gemacht. Wahrscheinlich gab es zu Hause oder in der Schule geringe Chancen, einen eigenen freien Willen zu entwickeln. Oder der Versuch, den eigenen Willen doch irgendwie durchzusetzen, wurde sofort bestraft. So entsteht allmählich folgendes Verhaltensmuster: tu was die anderen dir sagen und du wirst belohnt. Aber hüte dich davor, dich gegen den Willen der anderen zu stellen. Ohne wirklich sagen zu können, warum, betreten Menschen wie Lukas eine emotionale Gefahrenzone, wenn sie nein sagen. Also wird zu allem Ja und Amen gesagt. Bis auch das nicht mehr funktioniert, weil der innere Leidensdruck einfach zu hoch wird. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, etwas zu ändern.

Am besten mit der 5-Punkte-Strategie, die ich Ihnen im nächsten Abschnitt vorstelle. Sie hilft Ihnen nein zu sagen ohne die gute Beziehung zum anderen zu belasten. 

So sagen Sie rücksichtsvoll „Nein“

Lukas Salzmann will es endlich versuchen. Er hat sich mit seinem Chef zu einem weiteren Gespräch verabredet, um ihm seine endgültige Entscheidung zum USA-Projekt mitzuteilen.

Die 5-Punkte-Strategie hilft ihm, trotz Aufregung ein wirkungsvolles Nein auszusprechen.

Info-Kasten  2.3.1. Die 5-Punkte-Strategie

  • Eindeutiges Nein
  • Mitgefühl zeigen
  • Interesse zeigen
  • Begründung geben
  • Alternative zeigen

5 Punkte sind beim Nein-Sagen wichtig 

„Hallo Klaus“, Lukas schüttelt seinem Chef zur Begrüßung die Hand. „Danke, dass du dir die Zeit genommen hast. Wir hatten ja vereinbart, dass ich nochmal über dein Angebot nachdenke.“ „Hallo Lukas, setz dich“, Klaus bietet ihm Platz an und strahlt seinen Mitarbeiter erwartungsvoll an. „Ich wusste, dass du dich richtig entscheiden wirst.“ „Ja, ich habe mir nochmal alles gründlich überlegt und ich muss dir leider absagen.“ ( Eindeutiges Nein) Für einen Moment lang ist Stille. Lukas sieht deutlich, dass Klaus mit einem Nein nicht gerechnet hat. „Glaub mir, es ist mir nicht leicht gefallen, aber nach reiflichem Überlegen habe ich entschieden, dass für mich persönlich die Nachteile dieses Jobs überwiegen (Mitgefühl zeigen).“ „Aber Lukas“, setzt Klaus neu an. Er scheint sich nach der ersten Schock-Sekunde wieder gefangen zu haben, „jetzt erzähl mir nicht, dass du wegen Maren diese einmalige Gelegenheit sausen lässt. Ich zähl jetzt auf  dich. Und ich zähle auf deinen Mut.“ Lukas schaut kurz nach unten, um sich zu sammeln. Dann schaut er Klaus direkt in die Augen und sagt „ glaub mir, es freut mich, dass du mich gefragt hast, aber es liegt nicht an Maren, dass ich nein sage. Es gibt noch andere Projekte, die mich im Moment mehr interessieren. Das USA-Projekt würde mich jetzt aus vielen wichtigen Projektideen herausreißen, die ich mit einigen Kunden entwickelt habe. Es sind so viele spannende Sachen in der pipeline, das passt gerade wirklich nicht.“ (Begründung geben) „Okay“, seufzt Klaus, „ ich glaube nicht, dass das die richtige Entscheidung ist, aber ich sehe, ich kann dich nicht überzeugen.“ Wieder ist Schweigen. Jetzt ist es Klaus, der seinen Mitarbeiter lange anschaut. Lukas spürt, wie Unruhe sich breit macht. Seinem inneren Drang nach Harmonie folgend müsste er jetzt doch noch in letzter Minute ja sagen. „Dieses Mal nicht“, denkt er bei sich, „dieses Mal bleibe ich hart“. Und stattdessen antwortet er „Hast du den jemand anders, der rüberfahren könnte?“ (Interesse zeigen) „Ja“, erwidert Klaus gedehnt, „ Martin hat sich noch angeboten. Aber ich fänd’s natürlich besser, wenn du…“ „Martin ist doch eine super Idee“, unterbricht ihn Lukas, „der will doch schon seit 1 Jahr ins Ausland. Ich finde, das ist eine gute Alternative.“ (Alternative zeigen)

Sehen Sie? Nur weil Lukas hart geblieben ist, konnte er erkennen, dass sein Nein gar nicht so schlimm ist. Und gleichzeitig hat er sein Nein so formuliert, wie es zu ihm passt – rücksichtsvoll eben. Für Lukas ist es sehr wichtig, zwar klar, aber auch freundlich abzusagen.

Ich werde in Seminaren oft gefragt, ob es stattdessen nicht besser ist, knallhart zu bleiben. Schließlich ist es doch sein gutes Recht, nein zu sagen. Ich finde, das ist zu kurz gedacht. Es geht es doch gar nicht darum, groß und stark wie Goliath zu sein, wenn man sich klein und schwach wie David fühlt. David steht dazu, dass er klein und schwach ist. Nur weil er sich selbst so annimmt wie er ist, kommt er auf die Idee, mit seinen eigenen, gewohnten Waffen zu kämpfen. Ich möchte Sie ermutigen, ebenfalls zu Ihrer Schwäche, nicht nein sagen zu können, zu stehen. Erst so wird es möglich, den eigenen Stil zu finden. Freundlich, rücksichtsvoll und trotzdem konsequent.

Nein sagen braucht Übung

Am besten fangen Sie dort an, wo es nicht so drauf ankommt.

Wenden Sie das 5-Punkte-Programm im Restaurant an, wenn der Kellner Ihnen einen Tisch vorschlägt, Sie dann aber ablehnen, weil Sie einen anderen haben möchten. Oder Sie sagen nein, wenn ein Passant auf der Straße nach der Uhrzeit fragt oder, schon etwas schwieriger, wenn der Klassenlehrer Ihrer Tochter Sie fragt, ob sie beim nächsten Sommerfest einen Kuchen backen können. Erst dann trauen Sie sich an die großen Brocken heran: der Freund, dem Sie dieses Mal nicht beim Umzug helfen, weil…, dem Kollegen, für den Sie heute nicht länger bleiben, weil… und den Chef, für den Sie dieses Wochenende nicht auf die Messe begleiten, weil… .

Übung macht den Nein-Sage-Meister. Aber vielleicht wollen Sie ja gar nicht vom Ja-Sager zum Nein-Sager werden. Viel wichtiger ist es ja, ausdrücken zu können, was man in dem Moment gerade meint. Und ob das dann „Ja“ oder „Nein“ ist, ist ja egal.

Vielleicht reicht es ja schon, ein konsequenter Ja/Nein-Sager zu werden.


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