„Pass auf, Thomas, ich erklär’s dir noch mal“, mit einem schwungvollen Satz wendet sich Bernd Seidler dem Whiteboard zu und malt Zahlen und Spalten auf. „Wenn wir am Ende der 38. KW unsere Ziele erreichen wollen, musst du mit deinem Team schneller werden.“ „Ich weiß“, erwidert Thomas Ritter, der Projektleiter im Prozess-Optimierungsprozess, „aber in der Arbeitsvorbereitung sind zwei Leute krank geworden. Ist doch klar, dass die Daten jetzt nicht so schnell geliefert werden können wie geplant. „Mensch, Thomas“, Bernd Seidler setzt sich zu seinem Mitarbeiter an den Tisch schaut ihm direkt in die Augen, „du weißt doch genau, dass wir die Termine trotzdem einhalten müssen. Und auch für dich hängt viel davon ab.“ Bernd Seidler setzt sich zurück an den Konferenztisch und fährt fort: „ deine Performance muss endlich besser werden. Und dafür musst du dieses Mal die Termine unbedingt einhalten. „ Du kannst dich auf mich verlassen“, erwidert Thomas schnell und streicht nervös seine Haare zurück. Er muss seinen Chef unbedingt beruhigen, sonst macht der noch mehr Druck. Schweißperlen treten auf seine Stirn. „Es hilft nichts“, beendet Bernd Seidler das Gespräch. „Auch wenn es dir unangenehm ist, du musst deinen Leuten Druck machen, sonst hast du selbst ein Problem.“
Hausgemachter Stress
Es ist schwer, sich trotz hohem Erwartungsdruck zu Höchstleistungen zu motivieren. Da kann es schnell passieren, dass man sich getrieben fühlt und auf stur stellt. Blockade halt. Aber nicht nur sein Chef treibt ihn an, auch von innen wird Thomas Ritter getrieben. „Streng dich an“, ruft eine innere Stimme. Oder „Sei nicht so faul“, ermahnt sein eigener innerer Antreiber. Nun kommt der Druck von zwei Seiten.
Kein Wunder, dass sein Verstand mit einem Blackout reagiert. Bei soviel Druck kann kein Mensch in Ruhe arbeiten.
Von innen treibt der Antreiber, von außen fordert der Chef. Beide ziehen und zerren an ihm. Thomas gibt alles, um beiden gerecht zu werden, ohne Erfolg. Seine Leistungen werden nicht besser. Am liebsten würde er alles hinwerfen, aber selbst da kommt ihm sein Antreiber in die Quere: „Streng dich an“ ruft er. Und Thomas gehorcht.
So einen inneren Antreiber hat übrigens jeder. denn jeder von uns braucht einen inneren Motor, der dafür sorgt, dass wir uns anstrengen. Als Kind in der Schule, wenn es um gute Noten geht und später im Job, wenn es um die eigene Karriere geht. Der innere Antreiber hilft uns am Ball zu bleiben, wenn wir eigentlich keine Lust mehr haben, weiter zu machen.
Hier ein Steckbrief vom Inneren Antreiber zum Kennenlernen:
- stellt hohe Ansprüche an uns selbst
- verlangst von uns Perfektion und Vollkommenheit
- sagt uns, dass wir uns zusammenreißen und anstrengen müssen
Manchmal, wenn wir besonders unter Druck sind, hören wir sogar Gedanken und Sätze, die auf das Konto des Antreibers gehen. Ich nenne sie die Antreiber-Befehle.
Kommandos von innen
Haben Sie schon mal in sich hineingehorcht? Kennen Sie das, wenn Sie sich unbewusst zu mehr Leistung anspornen? Hier eine Auswahl typischer Antreiber Befehle – ist Ihrer dabei?
- Sei stark
- Sei perfekt
- Sei schnell
- Streng dich an
- Mach es allen recht
Ob ein Antreiber-Befehl nützlich oder schädlich ist, entscheidet allein seine Dominanz und seine Lautstärke. Erst wenn sich Denken, Fühlen und Handeln diesem einzigen Befehl unterordnen müssen, schadet er. Am besten lernen Sie Ihren inneren Antreiber besser kennen. Wie ist er entstanden? Und seit wann ruft er hörbar seine Befehle?
Bei Helen, einer engagierten Diplom-Kauffrau, hat sich der innere Antreiber-Satz folgendermaßen entwickelt:
Die kleine Helen ist fünf Jahre alt und lebt mit ihren Eltern und ihren zwei kleinen Geschwistern zusammen. Heute kommen die Großeltern zu Besuch und sie freut sich schon seit Tagen darauf, Oma und Opa wiederzusehen. Doch als sie da sind, ist die Enttäuschung groß. Die Großeltern haben nur Augen für die niedlichen Zwillinge, die gerade mal 1 Jahr alt sind. Nur sie werden auf den Arm genommen und gedrückt. Nur sie werden beachtet und nur über sie wird gesprochen. Helen steht wie ein überflüssiges Möbelstück daneben und wird immer trauriger. Doch dann kommt doch noch ihr großer Moment. Als die Eltern erzählen, dass Helen sich neulich im Wald verlaufen hat, weiß ihr Vater stolz zu berichten, dass sie ganz allein wieder nach Hause gefunden hat und noch nicht mal geweint hat. „Sei stark“ lautet die Botschaft, die Helen jetzt lernt. „Sei stark“ keine Schwäche zeigen, dann bekommst du die Anerkennung, die du brauchst.
11 Jahre später: Helen ist gerade Schulsprecherin geworden. Sie hat es geschafft sich gegen viele Mitbewerber durchzusetzen. Eine davon ist ihre beste Freundin, die nach der Wahl kein Wort mehr mit ihr spricht. Stattdessen setzt sie böse Gerüchte über Helen in die Welt. Helen habe die Wahl manipuliert, heißt es und Helen habe sich die Gunst einiger Mitschüler durch Anbiedern erschlichen, heißt es weiter. „Sei stark“ ruft Helens innerer Antreiber. Und Helen bleibt stark. Kein Wort wechselt sie mit der falschen Freundin, auch nicht, als die sich nach einigen Wochen bei ihr entschuldigen möchte. Stärke zu zeigen macht sich bezahlt, das merkt Helen, wenn sie es schafft, ihre Gegner in endlosen Diskussionen mundtot zu machen. Schließlich wird sie im folgenden Jahr mit überwältigender Stimmenzahl wiedergewählt.
Dass sie kaum Freunde hat, macht ihr nicht so viel aus, schließlich ist sie ja Schulsprecherin, da hat sie genug andere wichtige Kontakte.
Weitere 11 Jahre später: Helen hat seit kurzem den Super-Job angenommen. Als Assistentin der Geschäftsleitung übernimmt sie ihr erstes Projekt im Change Management eines Markenherstellers. Die Geschäftsleitung bindet sie von vornherein in alle wichtigen Meetings mit ein. Schon bald hat Helen einen 12-Stunden-Tag, aber das macht ihr nichts aus, sie ist hart im Nehmen. „Sei stark“ ruft ihr Antreiber. Helen gibt alles, sie kommt halbkrank zur Arbeit, sie sagt nie Nein, wenn es um Zusatzaufgaben geht und wenn es sein muss, arbeitet sie auch noch am Wochenende. „Ich bekomme bestimmt eine Super-Beurteilung“, denkt Helen, als sie in ihr erstes Mitarbeiter-Gespräch geht. Sie ist geschockt, als ihr Chef erklärt, sie habe nach einem Jahr noch immer kein Profil zeigen können. Sie würde zwar arbeiten wie ein Pferd, könne aber offensichtlich keine Prioritäten setzen. „Sei stark“ hat Helen zwar zum Arbeitstier werden lassen, der ersehnte Erfolg hat sich leider nicht eingestellt.
Das Beispiel von Helen zeigt, wie sinnlos es ist, dem eigenen inneren Antreiber blind zu folgen. Ein dominanter innerer Antreiber muss ausgebremst werden. Vor allem, wenn er sich auf eine völlig unkritische Art und Weise mit dem Leistungsdruck von außen verbündet.
„Wie denn?“ werden Sie sich jetzt vielleicht fragen. Davon, wie Sie sich selbst mit eigenen positiven Gedanken lenken und ent-stressen können, handelt der nächste Abschnitt.
Reden Sie sich gut zu
Es mag sonderbar klingen, aber wir können tatsächlich mit uns selbst, also auch mit unseren inneren Antreibern kommunizieren. In der Psychologie nennt man das Selbst-Verbalisation. Vor allem die Sportpsychologie hat in den letzten Jahren erkannt, dass man leistungsfähiger ist, wenn man sich vor einem Wettkampf mental fit hält. Hochleistungssportler suchen sich spezielle positive Leitsätze aus, die den Leistungsstress reduzieren und die Konzentrationsfähigkeit fördern. Einen Antreiber-Befehl kann da keiner gebrauchen. Warum auch? Die innere Anspannung ist sowieso schon bis zum äußersten gereizt. Keiner würde den Bogen jetzt unnötig überspannen.
Eine Woche später: Thomas Ritter sitzt lange nach Feierabend immer noch in seinem Büro. Sein Blick ist starr auf den Bildschirm gerichtet, vor ihm liegen Haufen von Zetteln. Eigentlich wollte er schon vor einer Stunde mit der Analyse fertig sein, aber er kann sich beim besten Willen nicht mehr konzentrieren. Morgen früh hat er einen Besprechungs-Termin mit Bernd Seidler. Dieses Mal möchte er perfekt vorbereitet sein. Wie eingefroren sitzt er da, den Oberkörper verkrampft nach vorne gebeugt. Verzweiflung macht sich in ihm breit. „Ich schaff es nicht“, schiesst es ihm durch den Kopf.“ Mit einem Ruck lehnt er sich nach hinten. „Ich hab keine Kraft mehr. Für diese Aufgabe bin ich einfach zu schwach.“ Mit einer Handbewegung fegt er alle Zettel auf einmal vom Tisch.
Und obwohl dieses Gefühl, es nicht mehr zu schaffen, so schrecklich ist, merkt er gleichzeitig, wie erleichtert er ist. Mit einem tiefen Seufzer lehnt er sich langsam zurück. „Genauso ist es – ich schaffe es nicht, endlich ist es raus.“
Wenn Sie glauben, dass Thomas jetzt alles hinwirft, haben Sie sich getäuscht. Im Gegenteil, das Eingeständnis, es nicht mehr zu schaffen ist wie ein Ventil. Endlich kann er Dampf ablassen.
Und was da alles zum Vorschein kommt:
„ Ich brauche mehr Zeit für mich“ „
„Ich will endlich mal wieder ein ganzes Wochenende lang schlafen und lesen“
„Ich brauche mehr Zeit, um die Projektaufgabe konzentriert zu erledigen.“
„Meine Kollegen zu unterstützen ist mir wichtig.“
„Am Anfang der Prozessanalyse brauche ich genügend Zeit, um mich einzuarbeiten. Wenn ich erstmal drin bin, macht es mir nichts mehr aus, unter Druck zu arbeiten, dann fühle ich mich in der Materie sicher.“
Wie befreiend es wirkt, eigene Bedingungen zu stellen, anstatt blind dem Antreiber zu folgen.
Thomas nimmt sich neue Zettel und schreibt auf, wie er in Zukunft mit seinen Antreiber-Befehlen umgehen will.
Anstatt „Sei perfekt“ steht da jetzt: „Du bist gut genug so wie du bist“
Oder „ Meistens sind 90 % auch ausreichend“.
Schon am nächsten Tag kann er förmlich spüren, um wie viel leichter ihm ums Herz wird, wenn der Druck von innen nachlässt. Diese Erleichterung spüren auch seine Mitarbeiter. Sie danken es ihm mit mehr Leistungsbereitschaft.
Übung gegen den inneren Druck
Wenn Sie also das nächste Mal unter Druck stehen, weil sie glauben, zu wenig zu leisten, sollten Sie zunächst einmal ihren inneren Druck abbauen. Nehmen Sie sich 4 Wochen Zeit, in denen Sie ein ganz persönliches Experiment mit ihrem inneren Antreiber durchführen.
- Finden Sie heraus, was Ihr innerer Antreiber sagt (s.a. Antreiber-Befehle). Überlegen Sie sich außerdem, wie Ihr innerer Antreiber aussieht, was für eine Stimme er hat und wie laut diese Stimme ist.
- Überlegen Sie, wie lange Sie diesen Antreiber-Befehl schon kennen. Ist er ein alter Vertrauter oder ist der Befehl, den Sie gerade so laut hören, ganz neu?
- 1. Woche: Führen Sie eine Woche lang Tagebuch. In welchen Situationen spüren Sie den Druck besonders stark. Beschreiben Sie in kurzen Stichpunkten fünf Unter-Druck-Situationen und bewerten Sie auf einer Skala von 1-5 wie schwierig und belastend diese Situationen sind (1=kaum belastend / 5=stark belastend).
- 2. Woche: Erstellen Sie eine Beobachtungstabelle nach folgendem Schema.
Beobachtungstabelle
Unter-Druck-Situation | Bewertung | Antreiber-Befehl |
Vorgesetzter kritisiert meine Vorbereitungen |
5 |
Sei perfekt |
Verändern Sie Ihre Antreiber-Befehle, indem Sie sie besser kennenlernen
Ändern Sie Ihren Antreiber-Befehl. Aus „Sei perfekt“ kann „ Ich gebe mein Bestes ohne an mir zu zweifeln“ werden.
- 3. Woche: Machen Sie es wie die Hochleistungssportler: unterstützen Sie sich in den schwierigen Unter-Druck-Situationen, indem Sie sich vorher, mittendrin und nachher die neuen Leitsätze sagen. Bewerten Sie jede Unter-Druck-Situation neu. Wenn Sie möchten, können Sie eine vierte Spalte anlegen und dort Ihre Beobachtungen eintragen. Sie werden überrascht sein, wie sich die Situationen verändern, wenn Sie sie aus einer anderen Perspektive betrachten.
- 4. Woche: Setzen Sie Ihre Beobachtungen fort, aber bleiben Sie bei den einmal ausgewählten Unter-Druck-Situationen. Welche Veränderungen können Sie in der zweiten Veränderungswoche feststellen?
Sollte es jetzt noch Unter-Druck-Situationen geben, die sich auch nach vier Wochen nicht verändert haben, dann sollten Sie jetzt mit Ihrem Vorgesetzten ein Gespräch führen. Finden Sie gemeinsam heraus, inwiefern Sie gemeinsam bessere Bedingungen für bessere Leistungen schaffen können.
„So wie ich bin, bin ich gut genug“ hatte Thomas als positiven Antreiber-Befehl formuliert. Seitdem können er und Bernd wieder besser über ihre gemeinsamen Projekte sprechen. Der äußere Druck ist zwar noch da, seinen inneren Druck hat Thomas jedoch abgebaut. Thomas kann jetzt lockerer auf Kritik reagieren und Bernd ist froh, dass Thomas nicht mehr stocksteif vor ihm sitzt, sondern konkrete Vorschläge macht.
In diesem Kapitel ging es darum zu lernen, übertriebene Ansprüche an sich selbst herunterzuschrauben. Mit Hilfe von positiv formulierten Antreiber-Befehlen können Sie den Unter-Druck-Situationen etwas entgegensetzen. Was aber, wenn Sie noch mehr wollen? Wenn Ihren gesamten Job-Alltag entspannter gestalten möchten?
Wenn Sie Lust haben, dann lesen Sie doch jetzt gleich das zweite Kapitel im vierten Abschnitt weiter. Dort erfahren Sie nämlich, wie Thomas Ritter mehr Spaß und Entspannung in seinen Alltag hineinträgt.
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